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2018-12-06

Tagungsbericht: “Liberale Theologie Heute”, München

Tagung „Liberale Theologie Heute“

Vom 18.-21. Juli 2018 fand an der Ludwig-Maximilian-Universität München die Tagung „Liberale Theologie Heute“ statt, die unter der Leitung von Prof. Jörg Lauster von der Evangelischen Fakultät veranstaltet wurde. Die Tagung sollte nicht nur das Erbe der „liberalen Theologie“ in Erinnerung rufen, das vor allem mit der theologischen Strömung des 19. Jahrhunderts verbunden wird, sondern auch aufzeigen, dass diese theologische Liberalität noch immer lebendig ist. Die Tagung sollte Gelegenheit zu einer Bestandsaufnahme und Impulse für eine zukünftige Theologie geben. Zur Bearbeitung dieser Anliegen wurden zahlreiche Wissenschaftler/innen aus aller Welt nach München eingeladen. Einige Doktoranden konnten ihre einschlägigen Dissertationen vorstellen. Professor Lauster als Gastgeber machte darauf aufmerksam, dass wenn Deutsche über liberale Theologie sprechen sie in der Regel etwas anderes meinen, als wenn Briten oder Amerikaner von liberaler Theologie sprechen. Insofern muss jeweils genauer nachgefragt werden, was gemeint ist.

Ann-Kathrin Armbruster aus Paderborn befasste sich mit Philipp Melanchthons Theologie vom Ebenbild Gottes und liberalen Aspekten seiner Theologie. – Daniel Rossa verband das Thema „Tiefe“ in den Theologien von Rudolf Otto und Paul Tillich als Ausdruck der Wirklichkeit Gottes mit dem literarischen Text Doktor Murkes gesammelte Schweigen von Heinrich Böll, der die „Tiefe“ mit dem individuellen Leben desjenigen verknüpfte, der nach Transzendenz sucht. – Megan Arndt schaute auf die Hermeneutik von Walph Waldo Emerson im Kontext der liberalen Theologie. Emerson, der selbst kaum als liberaler Theologie gilt, hat sich jedoch von der liberalen Theologie beeinflussen lassen und sie seinerseits beeinflusst. Arndt untersuchte Emersons Verständnis von Natur und Offenbarung. Der Mensch ist selbst Natur. Natur und Schrift sind die Medien für die Erkenntnis des Menschen. Aber der Mensch kann nur erkennen, was er selbst in sich trägt.

Katharina Opalka aus Bonn beschäftigte sich mit einem der Gründerväter der liberalen Theologie: mit Albrecht Ritschl. Sie erkannte in ihm einen erstaunlich „post-modernen“ Theologen. Insbesondere blickte sie auf Ritschls Reich-Gottes-Theologie. Das „Reich Gottes“-Narrativ sei konstitutiv für die christliche Gemeinde, deren Mitglieder sich dieses Narrativ in Demut und Geduld aneignen. Ritschl, ein sehr analytisch denkender Theologe, konnte zuweilen recht poetisch werden. – Laura Schmidt hat für ihre Dissertation 38 zeitgenössische Predigten im Hinblick auf ihren „liberalen“ Charakter untersucht und welche Botschaften sie den Hörern vermittelten. Sie kam zu dem Schluss, dass eine liberale Theologie in diesen Predigten kaum zum Ausdruck kommt.

Arne Lademann, Halle-Wittenberg, setzte sich mit Emanuel Hirsch auseinander, der später nicht nur als „liberaler Theologie“, sondern auch als Wortführer der „Deutschen Christen“ verschrien wurde, stand er doch dem Nationalsozialismus viel zu nahe. Sein theologisches Anliegen war es, dogmatische Wege zu finden, um die christliche Religion unter den Konditionen der Moderne neu zur Sprache zu bringen. Hirsch zeichnete sich aus durch seine Scharfsinnigkeit, seine Eigenwilligkeit und zuweilen auch durch seine schroffe Sprache. – Valentine Zuber befasste sich mit dem möglichen Einfluss, den die Reformation auf die Französische Revolution ausgeübt habe und welche Rolle der Protestantismus für die moderne Idee der Freiheit hatte – gerade auch angesichts der Tatsache, dass Reformation und Protestantismus in Frankreich nicht so recht zum Zuge kommen konnten (wegen der absolutistischen und zentralistischen Politik der französischen Monarchie). – Die Schwedin Jayne Svenungsson befasste sich mit der „Erfahrung“ als einem entscheidenden Element liberaler Theologie. Wir finden es schon bei Luther (sapientia experimentalis), aber dann vor allem bei Schleiermacher („Sinn und Geschmack fürs Unendliche“). Doch gerade diese Betonung auf die menschliche Erfahrung wurde an der liberalen Theologie kritisiert. Svenungsson blickte auf neuere Studien, um „Erfahrung“ als bleibenden Wert skandinavischer Theologie und Philosophie auszumachen.

Ein Highlight der Tagung war zweifellos der auf Englisch gehaltene Vortrag des Amerikaners Gary Dorrien, der am Union Theological Seminary in New York die Reinhold-Niebuhr-Professor innehat. Er erwies sich als vorzüglicher Kenner nicht nur der amerikanischen und britischen, sondern auch der deutschen liberalen Tradition. Es gebe zwischen diesen drei Traditionen zwar viele Gemeinsamkeiten, aber auch gravierende Unterschiede in der jeweiligen Wahrnehmung und Rückschau. So vermeidet man es in Deutschland tunlichst, sich als „liberaler Theologe“ zu outen, während man sich in den USA ohne Weiteres dazu bekennen kann. Dorrien ging vor allem auf Alfred North Whitehead und seine Prozessphilosophie ein, die auf die amerikanische liberale Theologie einen bleibenden Eindruck hinterließ. Nur die liberale Theologie habe sich wirklich der modernen Kritik gestellt, meinte Dorrien. Und deshalb gilt für ihn persönlich: Liberales Christentum oder sonst keines.

Robert Yelle von der Uni München setzte sich mit dem Einfluss der protestantischen Theologie auf den englischen Liberalismus – gerade auch den politischen Liberalismus – auseinander im siebzehnten Jahrhundert auseinander. Dieser Einfluss ist nach Yelle offenbar größer als gemeinhin angenommen. Er zeigte auf, wie protestantische Konzepte solche gesellschaftlichen Ideen wie die Religionsfreiheit, die Trennung von Staat und Kirche oder die Ablehnung der absoluten Monarchie begründeten. Und die Kritik der liberalen Theologie an der Wundergläubigkeit des Christentums, an den göttlich verordneten Gesetzen und Ritualen und an der Unfreiheit der Religionen allgemein, ebneten den Weg für eine säkularisierte, liberale Ordnung.

Der Theologe Jan Rohls nahm Albert Schweitzer und einige liberale Theologen aus der Schweiz in den Blick. Nach Rohls seien Albert Schweitzer und die Schweizer Schule (ohne „t“) ganz anders mit der Krise des Ersten Weltkriegs umgegangen als der Schweizer Karl Barth, der sich gegen die liberale Theologie wandte. Inspiriert von Schweitzers eschatologischer Deutung des Neuen Testaments hat Martin Werner (1887–1964) eine neue liberale Theologie zu begründen versucht. Das Zentrum des Christentums sei nicht der historische Jesus, sondern der sich in Christus offenbarende Gott. Es gehe darum, die Worte Jesu zu hören und zu befolgen. Gott sei Seinsgrund; Jesus Sinngrund.  Werners Schüler Ulrich Neuenschwander  plädierte für eine liberale Theologie, die sich aber in einigen Punkten von der alten liberalen Theologie abgrenzen müsse. Für Jan Rohls können die Schweizer „Liberalen“ – darunter auch Fritz Buri – den Weg für eine heutige liberale Theologie weisen.

Der holländische Theologe Rick Benjamins behandelte den Stand der liberalen Theologie in den Niederlanden. Ähnlich wie in Deutschland hat die liberale Theologie in unserem Nachbarland einen schweren Stand gehabt. Andererseits hat es dort einen dramatischen Prozess der Säkularisierung und der Weiterentwicklung von einer modernen zu einer postmodernen Perspektive gegeben, der gegenwärtig dazu führe, an den Universitäten die Theologie mit „Religious Studies“ zu ersetzen. Der Trend gehe jedenfalls dahin, die wissenschaftliche (säkulare) Beschäftigung mit der Religion von der konfessionsorientierten (kirchlichen) Theologie zu trennen.

Den Verlauf liberaler Theologie im Vereinten Königreich seit den fünfziger Jahren zeigte der Brite Mark Chapman auf. Einen großen Einschnitt bedeutete offenbar John Robinsons einflussreiches Buch „Honest to God“,in dem er die Theologien Bultmanns, Tillichs und Bonhoeffers zu verbinden suchte. Das Buch entfachte einen Sturm der Entrüstung unter traditionellen Theologen, weil Robinson den „Gott da draußen“ in Abrede stellte. Darüber zerbrach schließlich der anglikanische Konsens, der in eine Auseinandersetzung zwischen Konservativen und Sozialliberalen mündete.

Der Münchner Theologe Christian Albrecht konzentrierte sich auf eine liberale praktische Theologie, die auf liberale Theologen des 19. Jahrhunderts wie Otto Baumgarten (1858–1934) zurückgeführt werden kann. Baumgarten zählte zu den Verfechtern eines (von Barth später kritisierten) Kulturprotestantismus und rief auch zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus auf. Die liberale praktische Theologie zielt auf die – liberale – Bildung des Pfarrers und des Religionspädagogen ab.

Manfred Svensson von der Universidad de los Andes in Santiago de Chile befasste sich mit der liberalen Theologie in ihrem Verhältnis des von John Locke eingebrachten Toleranzgedanken, insbesondere wie er sich auf die Ekklesiologie auswirkt. Locke selbst wird nicht als Theologe, sondern als Philosoph gewertet, auch wenn es ihm ebenso wie den liberalen Theologen darum ging, das Christentum mit der Moderne in Einklang zu bringen. Locke bezog die von ihm geforderte Toleranz auch und gerade auf das Verhältnis zur Kirche.

Christian Danz, der gegenwärtig Systematische Theologie in Wien lehrt, behandelte den Heiligen Geist in seinem Verhältnis zur Moderne vor dem Hintergrund der im 20. Jahrhundert geführten Diskussion über den Offenbarungsbegriff. Geht es bei der christlichen Religion um (supernaturalistische) Offenbarung oder kann man den Heiligen Geist als Anlage des Menschen verstehen, die sich sukzessive im Geschichtsablauf zeigt? In diesem Zusammenhang befasste sich Danz vor allem mit Ernst Troeltsch, der den Gottesgeist als Weiterbildung des Christentums und als Produktivität des religiösen Aktes verstand. Offenbarung, so Troeltsch, sei keine Mitteilung übernatürlicher Wahrheiten, sondern das Zusammenspiel von göttlichem und menschlichem Geist. Gottes Geist ist das Medium, das uns Jesus Christus in Erinnerung ruft und uns dazu veranlasst, auf sein Wort (und das heißt, auf Gottes Wort) zu hören und es zu tun.

Der Marburger Claus-Dieter Osthövener warf einen Blick auf die dogmatische Theologie von Rudolf Otto, der für sein Buch über das Heilige, das Numinose, bekannt wurde. Weniger bekannt ist er für seine Dogmatik, die als seine Glaubenslehre demnächst veröffentlicht werden sollen. Dass er sich so intensiv mit dem „Heiligen“ befasste, hatte nicht zuletzt mit seinen Reisen nach Afrika  und Asien zu tun, wo er offenbar mit unterschiedlichen Formen des Animismus bekannt wurde.  Was seine Glaubenslehre angeht, so spielt für ihn das „Gefühl“ eine zentrale Rolle. Ottos Beitrag zur liberalen Theologie bleibt weiterhin nachhaltig.

Klaus von Stosch war vielleicht der einzige Katholik in der Runde. Er ist bekannt für seinen Dialog mit der islamischen Theologie. Sein Thema war die liberale Theologie im Dialog der Religionen. Er führte kurz in sein Konzept der komparativen Theologie ein und suchte dann einen Definitionsversuch von liberaler Theologie. Es gehe zuallererst um den Freiheitsgedanken und die Vernunft; sodann um ein Verständnis vom Glauben als einem persönlichen Bekenntnis. Liberale Theologie will jeden Zwang vermeiden und macht Religion zur Privatsache. Dennoch können viele Religionsformen nur verstanden werden, wenn man auch deren äußerliche, öffentliche, staatliche Bedeutung verstehe. Komparative Theologie könnte, so von Stosch, dazu beitragen, die äußeren Elemente mehr zu rationalisieren und zu liberalisieren.

Der Heidelberger Philosoph Jens Halfwassen ging der Frage nach, warum die sogenannte negative Theologie für die abrahamitischen Religionen so interessant geworden ist. Seine Antwort lautete: weil die griechische Philosophie die Einheit Gottes ins Spiel brachte (Platon: Gott ist kein Seiendes, sondern das Über-Seiende). Negative Theologie ist der Versuch, von der absoluten Transzendenz des Einen zu sprechen, der nicht zugänglich, nicht erklärbar ist und deshalb nur in negativen Termini beschrieben werden kann. Der Eine transzendiert alles Denken und alles Seiende. Die abrahamitischen Religionen konnten mithilfe der negativen Theologie ihre ursprünglich anthropomorphen und mythologischen Vorstellungen als symbolisch-metaphorische Sprache deuten. Negative Theologie erhält den Vorrang gegenüber einer affirmativen Theologie. Die negative Theologie des Einen gewinnt auf diese Weise mystische Züge. Und Halfwassen erinnerte an Karl Rahner, der gesagt hatte: „Der Christ der Zukunft wird Mystiker sein oder er wird nicht mehr sein.“

Reiner Anselm, der einen Lehrstuhl für Systematische Theologie und Ethik in München innehat, wies darauf hin, dass der Protestantismus große individuelle Freiheiten und beispiellosen Wohlstand nach sich gezogen hat. Aber könne man eine liberale Ethik auf diesen Individualismus und die Selbstbestimmung des Einzelnen gründen? Immerhin gibt es drängende Probleme, die das Kollektiv betreffen, etwa Umweltfragen, homosexuelle Heirat, Unternehmensethik oder auch die reproduktive Medizin. Es gibt auch so etwas wie einen „öffentlichen Protestantismus“, der drei von drei Kriterien gekennzeichnet ist: (1) die Wirklichkeit der Welt anerkennen; (2) individuelle Freiheiten anerkennen; (3) Zukunftsfähigkeit ermöglichen. Das Gerechte müsse immer eingebettet sein in eine Theorie des Guten, meinte Anselm. Und dann erläuterte er am Beispiel der Präventaldiagnostik die ethischen Dilemmata, die heutzutage durch neue Technologien entstehen können. Ist es etwa ein Desiderat, dass Kinder nur mit der bestmöglichen Genetik zur Welt kommen? Welche nicht-invasiven und invasiven Diagnose-Methoden sind vertretbar? Hier tut sich ein ganzes Feld noch nicht entschiedener Ethikfragen auf, die nicht nur den Einzelnen, sondern die gesamte Gesellschaft betreffen.
Isolde Karle, Homiletik-Professorin in Bochum, monierte, dass die Evangelische Kirche sich kaum in der Lage sieht, die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu meistern. Sie konzentriert sich vor allem auf Strukturprobleme, statt sich mit substantielleren Problemen zu befassen. Auch kompensiere die Kirche ihre schwindende Bedeutung, indem sie immer wieder moralische Botschaften meint verbreiten zu sollen. Ausgehend von Friedrich Schleiermacher, befasste sich Karle mit dem Verhältnis zwischen dem Individuum und der Gesellschaft, insbesondere mit der Frage, wie sich das Christentum zur Ethik im Allgemeinen und zur Politik im Besonderen zu verhalten habe. Welche Rahmenbedingungen und Voraussetzungen sind nötig, um der Evangelischen Kirche eine gute Zukunft in Aussicht zu stellen?

Der Schweizer Philosoph Andreas Urs Sommer fragte danach, ob die liberale Theologie möglicherweise zu viele Freiheiten biete? Ausgangspunkt liberaler Theologie im 19. Jahrhundert war der Bruch mit einer bis damals aufgezwungenen Dogmatik. Doch die Frage muss gestellt werden, ob die neu gewonnene Freiheit nicht zu verbreiteter Indifferenz und zum allgemeinen Relativismus geführt hat. Muss Theologie nicht der Hüter einer christlichen Dogmatik sein? Gibt es Grenzen der Liberalität? Wie weit darf liberale Theologie gehen? Zu häufig gebe die liberale Theologie Antworten, die schon jeder kenne. Und zu oft beschränke sie sich aufs Reagieren statt dass sie wieder grundsätzliche Fragen aufwerfe, wie uns Sokrates gelehrt habe.

Auch der Göttinger Systematiker Martin Laube fragte nach den Grenzen der theologischen Liberalität im Protestantismus. Die Reformation sei stolz darauf gewesen, die „Freiheit des Christenmenschen“ zu propagieren. Doch sei es bei der Reformation nicht um Freiheit an sich gegangen, sondern um die Befreiung durch das Evangelium. Auch die Begrenzung der Freiheit ist dem Protestantismus eigen. Ein Christenmensch ist zwar ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan, aber gleichzeitig jedermanns dienstbarer Knecht und allen untertan. Dieses Spannungsverhältnis muss aufrecht erhalten bleiben und kann den Weg weisen, so Laube, für eine liberale Rekonstruktion der Theologie.
Der Theologe Friedemann Barniske von der Augustana-Hochschule Neuendettelsau stellte zwei Konzepte christlichen Bewusstseins gegenüber: Auf der einen Seite erfährt sich religiöse Subjektivität durch die Teilhabe am göttlichen Geist durch den Glauben an Jesus Christus. Auf der anderen Seite wird der christliche Glaube begrenzt durch das göttliche Selbst. Diese beiden Aspekte sollten sich in einer liberalen Theologie wiederfinden.

Der Franzose Pierre Baudry setzte sich mit der Kritik von Papst Benedikt XVI. gegen die liberale Theologie auseinander. Wie ist darauf zu antworten?  Hat die liberale Theologie ihre Kraft verloren? Wie kann sie sich wieder neu behaupten? Baudry versuchte eine Antwort, indem er den liberalen Beitrag der Sozialwissenschaften ins Gespräch brachte.

Der Koreaner Sung Kim, gegenwärtig in Hong Kong am Lutherischen Theologischen Seminar lehrend, fragte nach einer liberalen Theologie in Ostasien und kam nach Untersuchung insbesondere des Asian Journal of Theology zu der Einsicht, dass liberale Theologie in Ostasien so gut wie nicht vorhanden sei.
Gorazd Andrej befasste sich mit der Kritik, gemäß der die liberale Theologie eine Art „slippery slope“ (rutschiges Gefälle) hin zum Unglauben sei. Zwar stecke in dieser Kritik durchaus eine Wahrheit drin, doch könne man das auch positiv sehen, wenn man in der liberalen Theologie eine adäquate religiöse Haltung gegenüber dem historischen Christentum verstehe.

Philipp Stoellger, Systematischer Theologe in Heidelberg, behandelte die Risiken und Nebenwirkungen theologischer „Monokulturen“. Diese erlaubten, einerseits, eine methodische Professionalisierung für theologische Forschung, andererseits seien sie aber auch selbstevident. Theologische Monokulturen seien somit ambivalent, aber auch gefährlich. Die liberale Theologie habe gegen theologische Monokulturen gekämpft, sei aber selbst zu einer solchen geworden. Sie habe den Dogmatismus bekämpft, neige aber auch dazu, in ihrer Liberalität selbst dogmatisch zu sein.

Die Philosophin Marily Gaye Piety von der Drexel University in Philadelphia wandte sich dem Bedürfnis der modernen Gesellschaften nach Spiritualität zu und stelle die These auf, dass die liberale Theologie gut positioniert sei, um diesem Bedürfnis zu entsprechen. Liberale Theologie konzentriere sich auf die Beziehung des Menschen zu einer transzendenten Wahrheit, die sie mit dem Wort „Gott“ verknüpfe. Um diese Beziehung herzustellen, bedarf es keines bestimmten Konzeptrahmens, keines bestimmten Narrativs und keines bestimmten Vokabulars. Gleichwohl sei es nötig, für diese spirituelle Beziehung zur transzendenten Wahrheit einen Rahmen, ein Narrativ, ein Vokabular zu entwerfen.

Markus Buntfuß von der Augustana in Neuendettelsau stellte einige radikale Fragen. Die liberalen Theologen des 19. Jahrhunderts wollten sich von den religiösen Autoritäten befreien, die Individualisierung gelebter Religion betonen und die Umgestaltung des christlichen Glaubens propagieren. Aber was, wenn es keine Autorität mehr gibt, von der man sich emanzipieren kann? Wenn Religion sowieso eine persönliche Sache ist? Wenn niemand mehr ewige Wahrheiten glaubt? Buntfuß versuchte in seinem Vortrag eine Antwort auf die Frage zu geben, wie liberale Theologe heute dennoch liberal bleiben kann.

Bengt Kristensson Uggla ist Philosophieprofessor an der Åbo Akademi Universität in Finnland und ein ausgesprochener Kenner der Philosophie Paul Ricoeurs. Er beleuchtete die Beziehung zwischen der liberalen Theologie und der skandinavischen Schöpfungstheologie aus der Sicht des schwedischen Theologen Gustaf Wingren. Wingren hat ein Menschenbild entworfen, das dem Ricoeurs ähnelt. Er untersuchte, wie man die Polaritäten zwischen menschlich/christlich, säkular/heilig, Erfahrung/Sprache sowie Individuum/Institution überwinden kann.

Friedrich Wilhelm Graf, Prof. em. in München und mitverantwortlich für die kritische Gesamtausgabe der Werke Ernst Troeltschs, brachte die Konferenz zum Abschluss. Er setzte die liberale Theologie ins Verhältnis zum politischen Liberalismus. Viele liberale Theologen des 19. und 20. Jahrhunderts bezeichneten sich selbst nicht als „liberal“. Während viele von ihnen politische Positionen einnahmen, die nicht dem damaligen Mainstream entsprachen, gab es zahlreiche Theologen, die einerseits sehr liberale theologische Ansichten vertraten und gleichzeitig sehr konservativen, ja autoritären politischen Auffassungen anhingen.

Insgesamt wurde also eine Vielzahl von Aspekten liberaler Theologie beleuchtet, in der Vergangenheit und in der Gegenwart. Ein einheitliches Verständnis von dem, was liberale Theologie eigentlich ausmacht, war nur undeutlich erkennbar. Nicht zu leugnen ist die Tatsache, dass gerade in Deutschland die liberale Theologie des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts in Verruf geriet, und zwar einerseits durch die Tatsache, dass einige ihrer Vertreter sich (vor dem Ersten Weltkrieg und teilweise auch noch danach) einem Militarismus und einem Kulturnationalismus anhingen, die aus heutiger Sicht schwer verdaulich ist, und andererseits auch noch durch den Umstand, dass Karl Barth einen geradezu missionarischen Feldzug gegen die liberale Theologie führte. Diese beiden Umstände fallen für die liberale Theologie im angelsächsischen Raum weg, weshalb Anglosachsen auch ungezwungener mit dem Begriff der „liberalen Theologie“ umgehen können. Gleichwohl stellte die Tagung einen wichtigen Impuls dar, eine liberale Theologie nicht nur in Deutschland wieder hoffähig zu machen, sondern ihr auch international zum Durchbruch zu verhelfen. Die Tagung machte auch deutlich, dass es einer Neudefinition „liberaler Theologie“ bedarf, die sich nicht nur darauf beschränkt zu sagen, was nicht zu glauben sei, sondern sich darauf konzentriert, was geglaubt werden darf.

Admin - 18:57:34 @